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Wizards of OS #1
Offene Quellen und Freie Software Wizards of OS #1
Offene Quellen und Freie Software
16.-17. Juli 1999
Haus der Kulturen der Welt
John-Foster-Dulles-Allee 10, Berlin
Mich kann man nicht beklauen, mich kann man nur benutzen.
Wolfgang Neuss nach Tucholsky
Am Anfang war das Wort, und es war frei. Dann erfanden die Verleger das Urheberrecht. Kurz darauf kam der Computer. Und wieder war das Wort Tat. Und wieder war es frei. Programmierer tauschten ihre Arbeitsergebnisse untereinander aus, wie es unter Wissenschaftlern üblich ist. Erst als Computer zu Massenartikeln wurden und eine Softwareindustrie entstand, wurde der Code - das Wort - zum Geschäftsgeheimnis. In der sogenannten Informationsgesellschaft dreht sich alles ums "geistige Eigentum". Wir befinden uns im Jahre 1999 n.Chr. Die ganze Welt ist von den Römern aus Redmond besetzt. Die ganze Welt? Nein! Eine von unbeugsamen Software-Entwicklern bevölkerte Gemeinde hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten. Ihr Zaubertrank heißt Freiheit und Quelloffenheit.
Der Aufstieg der freien Software ist die erstaunlichste Entwicklung in der Computer-Welt der jüngsten Zeit. Das von Beginn an freie GNU/Linux verzeichnet den größten Zuwachs unter allen Betriebssystemen. Seine Karriere begann im Verborgenen: Systemadministratoren wußten von seiner hohen Zuverlässigkeit und installierten es in den Rechenzentren ihrer Arbeitgeber, oft ohne deren Wissen. Erst als bekannt wurde, daß die digitalen Spezialeffekte des Films Titanic unter Linux berechnet wurden und Firmen wie StarDivision und Oracle Linux-Versionen ihrer Softwareprodukte anboten, rückte das freie Betriebssystem ins Zentrum der Computer-Öffentlichkeit. Als vor gut einem Jahr Netscape den Programmtext seines Internet-Browsers offenlegte, war es das erste Mal, daß ein Fortune 500-Börsenstar sein Glück darin sah, sein Eigentum mit allen zu teilen. Eine nicht-abreißende Zahl von Produzenten und Dienstleistern springt seither auf den Zug der quelloffenen Software. Heute verlangen gar Venture Capital-Investoren von ihren Software-Firmen, daß diese ihre Programme verschenken. Als schließlich selbst Forbes Magazine das Loblied von Open Source und Hackern sang, konnte man sich fragen, ob das Ende des Kapitalismus nah sei.
Der Trend stellt die konventionelle Logik der Softwareindustrie auf den Kopf. Gewöhnlich liefern Software-Hersteller ihren Kunden eine maschinenlesbare, binäre Version ihrer Software. Das Kochrezept ihrer Programme - den menschenlesbaren Quellcode - halten sie jedoch unter Verschluß, um ihr Know-How nicht der Konkurrenz auszuliefern. Ein Microsoft-Anwalt bezeichnete in einem Gerichtsverfahren wegen unlauteren Wettbewerbs den Quelltext von Windows als "eines der wertvollsten und geheimsten Stücke geistigen Eigentums auf der Welt."
Bereits in den 70er Jahren entstand vor allem um das Betriebssystem Unix und um die Software-Technologie des Internet eine weltweite Gemeinde von kooperierenden Programmierern. Seit Beginn der 1980 geriet auch das ursprüngliche quelloffene Unix unter die Räder dieser Entwicklung. Der Programmierer Richard Stallman rief deshalb am Massachusetts Institute of Technology das Projekt eines vollständig freien Unix-kompatiblen Betriebssystem ins Leben, das er GNU (GNU's Not Unix) nannte.
Er wollte damit die Kultur von freien Entwicklern, Bastlern und Hackern bewahren, die sich an den Universitäten, aber auch außerhalb, gebildet hatte und die die Produkte ihrer Programmierkünste untereinander teilt - ganz so, wie Menschen ihre Lieder und ihre Kochrezepte austauschen und weiterentwickeln. Besonders das Internet ist Medium und zugleich Gegenstand dieser Kooperation. Die Formatierungssprache HTML, aus der Webseiten bestehen, ist ein anschauliches Beispiel: Im Browser kann sich jeder mit dem Menüpunkt "View Source" ansehen, wie eine Webseite gemacht ist, sie studieren, daraus lernen und das Gelernte auf den eigenen Seiten anwenden.
Dieses offene "Basar"-Modell, das Eric Raymond in seinem einflußreichen Aufsatz den "Kathedralen" der konventionellen Software-Entwicklung durch geschlossene Teams entgegenstellte, hat unschätzbare Vorteile auch für Computeranwender, die nicht selbst programmieren. Linux zeigt, daß der Basar zuverlässigere und flexiblere Software hervorbringen kann als abgeschottete Entwicklerteams, weil hunderte von Entwicklern seinen Programmcode täglich überprüfen und verbessern. Diese Vorteile möchten neuerdings auch große Computerkonzerne für sich nutzen: Sie legen den Quelltext ihrer Software offen und laden zur Mitarbeit bei Fehlersuche und Erweiterungen ein, in der Hoffnung auf Anerkennungspunkte ("mindshare") und die unbezahlte Zuarbeit einer weltweiten Entwicklergemeinde.
Die Wizards of OS sind die erste Veranstaltung in Deutschland zur Kultur, Philosophie, Politik und Wirtschaft der freien Software. Ihr Leitmotiv heißt freie Software zwischen sozialer Bewegung und Marktwirtschaft. Wenn sich kooperative und korporative Kulturen treffen, geht es um mehr als nur die Frage, wer die bessere Software schreibt.
Prominente freie Software-Projekte werden von ihren Entwicklern vorgestellt. Das Paradebeispiel ist natürlich GNU/Linux. Mit XFree86 und der graphischen Benutzeroberflächen KDE zeigt es sich freundlich auch gegenüber nicht-programmierenden Nutzern. Apache ist die Software auf mehr als der Hälfte der Web-Server im Internet. Perl schließlich ist die am weitesten verbreitete Skriptsprache des Web - ein "Universalkleber" zwischen Programmiersprachen, Hard- und Software-Welten, der Web-Formulare und Suchmaschinen antreibt. Daran anschließend stellen sich Firmen vor, die ihr Geschäft mit freier Software machen. Firmen wie SuSE stellen System- und Anwendungsprogramme in Linux-Distributionen zusammen. Mittelständische Unternehmen wie Lunetix und Innominate installieren und betreuen Linux-Systeme. Verlage wie O'Reilly verkaufen Handbücher für freie Software. Industriegrößen wie Oracle oder Star Division bieten ihre Programme für Linux an. EDV-Abteilungen wie die der "tageszeitung" setzen Linux ein, um sich ihre Systeme maßschneidern zu können. Selbst Apple und Sun lassen sich in ihren Quelltext schauen.
Läutet der Linux-Boom den Ausverkauf freier Software ein? Oder stehen jetzt ein Informationskapitalismus auf dem Prüfstand, dessen Geschäftsgrundlage "geistiges Eigentum" ist? Entsteht hier eine wirklich neue Ökonomie oder ist Open Source nur das Software-Business-Modell der flexibilisierten Dienstleistungsgesellschaft? Wenn Urheber-, Patent- und Markenrecht die Instrumente sind, mit denen die Rechteindustrien das kostbare geistige Gut schützen und vermarkten, so dienen im Gegenzug Freie Software-Lizenzen dazu, quelloffene Werke vor Mißbrauch abzusichern und offen zu halten. Welche Lizenzmodelle gibt es und welche Vor- und Nachteile haben sie?
Sind Daten und Programme geschützter, wenn Systeminterna geheim bleiben - oder bietet erst offener Code eine Gewähr gegen Sicherheitslöcher? Nützt freie Software einem partnerschaftlichen Wissensaustausch zwischen reicheren und ärmeren Ländern? Welche Rolle kann sie in der Bildung spielen? Welche Magie haben die Witches of OS den nachgerade männerbündischen Wizards voraus? Schließlich werden die Wizards of OS der Frage nachgehen, wie sich die Mechanismen der freien Software auf andere Formen von Wissen anwenden lassen, auf Texte, Bilder, Musik und multimediale Kunst. Welche Parallelen zur Privatisierung von offenem Wissen finden sich in der anderen digitalen Revolution, der Gentechnik? Auch Saatgut ist von Bauern getauscht und gekreuzt worden, seit es Landwirtschaft gibt, doch heute erwerben Chemie- und Pharmakonzerne wie Monsanto - das sich gern als "Microsoft der Biotechnologie" bezeichnet - "geistiges Eigentum" an den Quellen des Lebens.
Open Source ist eine Befreiungsbewegung genannt worden. Ihr Zaubertrank setzt sich aus verschiedenen Ingredienzien zusammen: dem freien Zugang zum Quelltext, der Freiheit, ihn zu verändern und der Freiheit, das ursprüngliche Programm und die Modifikationen weiterzugeben - ob gratis oder gegen eine Gebühr. In der sich abzeichnenden neuen Wissensordnung könnte Software und anderen Wissenformen als kollektivem, öffentlichem Gut der höchste Wert zukommen, und ihrer Fortschreibung stünden keine Schließungen im Weg. Um es mit Richard Stallman zu sagen: Entscheidend ist die Frage, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen.
May the Source be With You!
mikro e.V. - AG Informatik in Bildung und Gesellschaft der Humboldt Universität zu Berlin - Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe - Seminar für Ästhetik der Humboldt Universität zu Berlin - Haus der Kulturen der Welt Berlin - Telepolis - Individual Network Berlin - Berliner Linux User Group - Berliner NeXT User Group - context m.
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